Deutschland hatte bis London das Verlieren verlernt…
39 Medaillen seit Olympia 1928 in Amsterdam
Die Olympischen Spiele der Neuzeit begannen 1896 in Athen. Reiten gehört offiziell seit 1912 in Stockholm dazu. Österreichische Medaillengewinner in der Dressur waren bisher Alois Podhajsky als Dritter in Berlin 1936 und Sissy Theurer, die aus Moskau 1980 mit Gold zurückkehrte.
Die geradezu übermächtigen Gewinner seit dem ersten Olympia-Start 1928 in Amsterdam waren deutsche Teilnehmer. Sie holten bis 2012 in London 39 Medaillen, 19mal Gold, elfmal Silber und neun bronzene Plaketten. Das Ausbildungssystem gebar seine Sieger. Dazu kam die Zucht, und nicht zuletzt die Ausbilder bereiteten den Boden für den Erfolg. Liselott Linsenhoff, Dr. Reiner Klimke, Harry Boldt und Josef Neckermann, um einige in den Jahren nach Ende des Zweiten Weltkriegs zu nennen, waren Begriffe und Idole in der Öffentlichkeit. Sie standen für feines Reiten und Benehmen und wurden ausgezeichnete Botschafter für diesen Sport aus Zucht, Ordnung und Disziplin.
Danach folgten ebenfalls glorreiche Jahre, die kein Ende zu nehmen schienen; mit Nicole Uphoff und Isabell Werth, Ulla Salzgeber und Klaus Balkenhol oder Monica Theodorescu zum Beispiel. London 2012 änderte alles. Die Welt der Frackträger drehte sich plötzlich in eine andere Richtung. Der Sport rückte in den Vordergrund, Beziehungen zu den Richtern galten nichts mehr. Es zählte die reine Leistung. Und so wurde die britische Equipe in der Besetzung Carl Hester auf dem holländischen Hengst Utophia, Laura Bechtolsheimer auf Mistral Hojris und Charlotte Dujardin auf Valegro erstmals seit Beginn der Olympischen Reiterspiele Olympiasieger vor Deutschland, das seit Montreal 1976 – nicht gerechnet die Boykottspiele in Moskau 1980 – das Verlieren verlernt hatte.
Deutschland trat mit einer völlig unbedarften Equipe an der Themse an, keine der Damen hatte bisher ein Hochamt des Sports im olympischen Dom besucht, doch Kristina Bröring-Sprehe mit dem Hengst Desperados, Dorothee Schneider auf Diva Royal und Helen Langehanenberg auf Damon Hill zelebrierten ihren Sport aus Eleganz, Kunst und reiterlichem Können großartig und so, als wären sie schon oft dabei gewesen. Sie traten als Team auf. Der Neuanfang der deutschen Dressur, ausgerechnet bei Olympia, wenn auch ohne Mannschafts-Gold und ohne Einzelmedaille. Drei Damen auf leichtfüßigen Pferden, die nicht nur Deutschland erstaunten, sondern auch die Richter. Und dabei fehlte in der deutschen Equipe Isabell Werth, weil die sonstige Erfolgsgarantin kein entsprechendes Pferd für Olympia unter dem Sattel hatte.
Olympia 2012 stachelte an, weckte den Ehrgeiz neu. Und schon ein Jahr danach gewannen im dänischen Herning Isabell Werth auf Don Johnson, Kristina Bröring-Sprehe auf Desperados, Helen Langehanenberg auf Damon Hill und Fabienne Lütkemeier auf D’Agostino – die komplette Equipe auf Pferden des großartigen Vererbers Donnerhall – die Europameisterschaft vor den Niederlanden und Großbritannien, und wiederum zwölf Monate später hieß die Goldmannschaft bei der Weltmeisterschaft in der Normandie Deutschland. Dass Deutschland in Aachen im letzten Jahr gegenüber den Niederlanden um den Europatitel nochmals auf dem Podest eine Stufe tiefer stand, war ein momentaner Schmerz wie Kopfanstoßen. Und dass nochmals die charmante und großartige Britin Charlotte Dujardin auf dem Wallach Valegro – der Stern des Paares begann vor genau 5 Jahren beim Turnier auf dem Schindlhof erstmals weithin zu leuchten – zweimal vor Kristina Bröring-Sprehe und Desperados in der Einzelwertung vorne stand – es hätte auch anders sein können, und wäre kein Fehlurteil gewesen. Möglicherweise bereits im August bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro wird es so sein, wo die deutsche Dressur-Equipe nicht auf Silber, sondern auf eine weitere Goldmedaille eingestellt ist.
Dieter Ludwig